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BAU.WERK
Glanzvolle Wiedergeburt
Seit letztem Jahr präsentiert sich das einstige «Grand Hôtel des Alpes» im idyllischen Bergdorf Mürren (BE) in neuem Glanz. Zeitgleich zur Sanierung dieses heutigen Hotel Mürren Palace entstand direkt daneben eine Dependance – ein ellipsenförmiger Holzbau mit 14 Apartments zum Mieten.
Text Susanne Lieber | Fotos Stettler Photography | Pläne Ducksch Anliker AG
A ls 1874 in Mürren (1650 m ü. M.) das «Grand Hôtel des Alpes» eröffnete, avancierte das kleine Bergdorf im Berner Oberland schnell zum Hotspot der High Society. Vornehmlich Briten, die in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts den Wintertourismus in die Schweizer Alpen brachten, residierten dort im prunkvollen Bau mit Blick auf Eiger, Mönch und Jungfrau. Fünf Jahre lang hatte es damals gedauert, bis das Hotel fertiggestellt war. Der Aufwand, in solch einer Höhenlage zu bauen, war zu jener Zeit beträchtlich – eine Eisenbahnverbindung gab es noch nicht, von einer Gondelbahn ganz zu schweigen.
Historischer Rückblick
Im Jahr 1891 ging die erste Bergbahn von Lauterbrunnen nach Mürren in Betrieb, was die Anreise für die Gäste daraufhin bedeutend komfortabler machte. Ab 1910 gelangte man mit der Bahn dann nicht nur in der Sommer-, sondern auch in der Wintersaison hinauf zum Bergplateau, vor dem sich das gegenüberliegende Felsmassiv in seiner ganzen Wuchtigkeit präsentiert.
Bis in die 1930er Jahre traf sich in Mürren eine illustre Gesellschaft, doch nach dem Zweiten Weltkrieg verlor der Ort an Anziehungskraft. Zum «Place to be» der Schönen und Reichen wurden stattdessen St. Moritz und Gstaad.
Nach einer wechselvollen Geschichte und verschiedenen Erweiterungs- und Umbauten büsste das einstige Luxushotel an Glanz ein. Und mit dem Bau des Alpinen Sportzentrums Mürren Anfang der 1980er Jahre, für den ein beträchtlicher Teil des historischen Gebäudes weichen musste, schien die glorreiche Zeit des Hotels endgültig besiegelt – mit gerade mal 90 Betten konnte die aufwendige Infrastruktur mit Restaurant, mehreren Sälen und Bar wirtschaftlich nicht mehr aufrechterhalten werden. Es folgten mehrere Besitzerwechsel, 2009 dann die Schliessung des Hotels – und 2013 der Konkurs.
Der Neuanfang
Drei Jahre später dann der Lichtblick: Das denkmalgeschützte Gebäude soll aus seinem Dornröschenschlaf geweckt werden! Um zu eruieren, wie das Hotel wieder rentabel gemacht werden könnte, wurden Workshops mit Fachleuten aus verschiedenen Disziplinen – Architektur, Denkmalpflege, Hotellerie, Landschaftsarchitektur und Städtebau – veranstaltet. Gemeinsam wurde eine Strategie entwickelt, die die Zukunftsfähigkeit des Hotels sichern sollte. 2016 taten sich dann einige beherzte Einheimische, Stammgäste und Zweitwohnungsbesitzer zusammen, kauften das leer stehende Gebäude als investorengetragene Entwicklungsgesellschaft und begannen, das geschichtsträchtige Hotel zu
sanieren. Ergänzt wurde dieses mit einem ellipsenförmigen Holzbau, der massgeblich zur Wirtschaftlichkeit des Bauprojekts beiträgt: Die Dependance besteht aus kleinen Apartments, die Investoren kaufen konnten und die nun – im Rahmen eines Pachtvertrags – dem Hotelbetrieb zur Verfügung stehen.
Baulich unterstützt wurde das Sanierungs- beziehungsweise Neubauprojekt vom Architekturbüro Ducksch Anliker (Generalplanung für alle Leistungsphasen), vom Ingenieurbüro Pirmin Jung Schweiz sowie von der Wenger Holzbau AG. Die Arbeiten konnten im Dezember 2024 abgeschlossen werden.
Holz auf fünf Geschossen
Die neue Dependance umfasst insgesamt 14 Apartments mit jeweils kleiner Küche und ist unterirdisch mit dem Hotel verbunden. Die elliptische Form des Holzbaus trägt hier dem Entwurfsgedanken der Architekten Rechnung, dass der Neubau das Hotel Mürren Palace nicht konkurrenzieren und sich als eigenständiger Solitär behaupten soll. Die gerundete Form fügt sich nun gefällig in die Dorfstruktur ein – im wahrsten Sinne ohne Ecken und Kanten, was auch dem Ausblick auf das prächtige Bergpanorama zugutekommt.
Das Untergeschoss der Dependance – hier befindet sich ein Wellnessbereich mit finnischer Sauna, Biosauna, Dampfbad, Massageraum, Tauchbecken und Ruheraum – ist von beiden Gebäuden gleichermassen zugänglich und wurde (wie auch der Erschliessungskern) in Massivbauweise erstellt. Ansonsten ist der fünfgeschossige Bau in Holz ausgeführt: Die aussteifenden Geschossdecken, die jeweils in trapezförmige Segmente unterteilt sind, bestehen aus grossformatigen Brettsperrholzplatten (CLT) mit Kalksplittschüttung; deren Spannweite beträgt bis zu fünf Metern. Die Querlage der trapezförmigen Segmente spannt sich in der Aussenwand jeweils von Stütze zu Stütze. Die tragenden Wände bestehen aus massivem Konstruktionsholz (C24, Fi/Ta), die nichttragenden Wände sind in Leichtbauweise erstellt.
Zwei unterschiedliche Ellipsenformen
Der Entscheid, einen Holzbau mit elliptischer Grundform zu entwerfen, brachte konstruktiv gewisse Herausforderungen mit sich. Zumal der Gebäudegrundriss und das Dach unterschiedliche Ellipsenformen aufweisen. Auf dem Grundriss des Dachgeschosses lässt sich bei genauem Hinsehen erkennen, dass der Dachvorsprung auf den gestauchten Gebäudeseiten kürzer ist (80 cm) als auf den anderen beiden Seiten (150 cm). Daraus hat sich eine komplexe Dachgeometrie ergeben, bei der jeder Gratsparren eine andere Neigung (zwischen 8 und 10 Grad) aufweist. Die Sparren verlaufen strahlenförmig vom betonierten Gebäudekern aus und bilden – analog zu den aussteifenden Decken- beziehungsweise Bodenelementen – trapezförmige Dachsegmente.
Aufwendiger Materialtransport
Nicht minder herausfordernd war die Logistik auf der Baustelle: Während das ehrwürdige Hotelgebäude umfassend saniert werden musste (Neuorganisation der Grundrisse, statische Ertüchtigung des primären Stahltragwerks sowie des sekundären Holztragwerks bei den Geschossdecken, Verstärkung der Balkenlagen), entstand daneben zeitgleich die fünfgeschossige Dependance. Die Doppelbaustelle sorgte dabei bisweilen für Überraschungen, wie Melanie Kunz vom Architekturbüro Ducksch Anliker zu berichten weiss: «Beim Aushub stiessen wir zum einen auf Trümmer, die noch von einem früheren Brand im Hotel stammten. Zum anderen entdeckten wir an jener Stelle, wo sich ursprünglich der Weinkeller des Palace befand, alte Weinflaschen. Wir haben gewissermassen ein Stück Hotelgeschichte ausgegraben.»
Während die meisten Baubeteiligten nach Mürren pendelten, verbrachten einige – darunter auch Melanie Kunz (Leiterin Ausführung Wohnen und Gewerbe) samt Projekt- und Bauleitungsteam – die vierzehnmonatige Bauphase grösstenteils direkt vor Ort. Insgesamt tummelten sich auf den beiden Baustellen täglich bis zu hundert Leuten, was eine gute Koordination voraussetzte – in jeglicher Hinsicht. So zum Beispiel auch bei der Nutzung des Krans, der beide Baustellen parallel bedienen musste. Und auch die Materialanlieferung ins Bergdorf war nicht ganz einfach. «Wir haben von der Gemeinde die Auflage bekommen, dass wir nur mit land- oder forstwirtschaftlichen Fahrzeugen nach Mürren fahren dürfen», erklärt Projektleiter Michael Schild von der Wenger Holzbau AG. Dazu muss man wissen: Die Gemeinde ist seit dem Bau der Schilthornbahn 1967 autofrei. Um dem Anliegen der Gemeinde nachzukommen, mussten die Pritschen in Winteregg (ein Zwischenhalt auf der Bahnstrecke nach Mürren) auf den Anhänger eines Forsttraktors umgeladen werden. Allein für den Montagebau der Dependance wurden so insgesamt 24 Anhänger Material ins Dorf gebracht. Die Fassadenelemente und die Dreischichtplatten für den Innenausbau wurden hingegen erst per Seilbahn auf die Grüpschalp und dann per Bahn nach Mürren transportiert, wo die Teile auf der Baustelle mit dem Baukran versetzt worden sind. Der Kran konnte allerdings nicht bis zur Fertigstellung der Dependance auf der Baustelle stehenbleiben, was zur Folge hatte, dass die letzten Fassadenelemente ab Lauterbrunnen mit dem Helikopter zur Baustelle transportiert und versetzt werden mussten. «Wir haben in Mürren schon einige Bauprojekte realisiert», so der Holzbaupolier Michael Schild, «aber so aufwendig und umfangreich wie dieses war bislang noch keines.»
Die Bahn und Seilbahn sei häufig für das Bauteam im Einsatz gewesen und lieferte Materialnachschub zum Teil im 15-Minuten-Takt, resümiert Melanie Kunz. Für ein Bergdorf wie Mürren, das neben Lebensmitteln und Alltagsprodukten auch Horden von Touristen in die Höhe transportieren muss, war das keine leichte Sache. Aber es hat sich gelohnt: Seit einem Jahr ist der geschichtsträchtige Bau nun restauriert und versprüht mit seinem prunkvollen Saal wieder Grand-Hotel-Charme wie in alten Zeiten. Und mit der Dependance bietet das Hotel Mürren Palace, ergänzend zu seinen Suiten, neu auch stilvolle Apartments, in denen sich Gäste selbst versorgen können – Ausblick auf Eiger, Mönch und Jungfrau inklusive. wengerholzbauag.ch, hotel-muerren-palace.ch
Das Projekt – die Fakten
Projekt: Dependance (für Hotel Mürren Palace) mit 14 Apartments, Mürren (BE)
Bauherrschaft: Mürren Investment AG, Mürren
Fertigstellung: 2024
Architektur (Generalplanung): Ducksch Anliker AG, Langenthal (BE); Projektleitung: Melanie Kunz Holzbauingenieur: Pirmin Jung Schweiz AG, Thun (BE); Projektleitung: Laurin Bachmann
Holzbau: Wenger Holzbau AG, Unterseen (BE); Projektleitung: Michael Schild
Deckenelemente (CLT) und Fassadenverkleidung: Balteschwiler AG, Laufenburg (AG)
Konstruktion/Tragwerk: Holzrahmenbau, Elementbau, Aussteifung über die Geschossdecken (angedockt an Betonkern)
Holzart und -menge: Konstruktionsholz aus Brettschichtholz und DUO (Fi/Ta, 120 m3),
Fassadenverkleidung aus Schweizer Fichte
Bruttogeschossfläche: 1496 m2
Gebäudevolumen: 5724 m3
Kosten (Holzbau): CHF 1,57 Mio.
Besonderheiten: Ellipsenförmiges Satteldach; herausfordernde Logistik in einem autofreien Bergdorf (1650 m ü. M.)
Ducksch Anliker AG
Seit 1971 plant und realisiert das Architekturbüro private und öffentliche Neubauten sowie Sanierungen und Umbauten. Tätig ist das Unternehmen an drei Standorten: Langenthal, Zürich und Luzern. Ducksch Anliker agiert zudem als Gesamtleister im Bereich Immobilien, weshalb das Angebot von der Projektentwicklung bis hin zur Bewirtschaftung
von Immobilien reicht. Zum Unternehmen gehören entsprechend auch die Ducksch Anliker Immo Management AG, die Ducksch Anliker Immobilien AG, die Ducksch Anliker TU Management AG sowie die Ducksch Anliker Entwicklungen AG.
duckschanliker.ch





